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Danyel Pfingsten "Wir müssen die Baukultur ändern"
InterviewLesedauer 9:20 Minuten
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»Wir müssen die Baukultur ändern«

Architektur und Bauwesen befinden sich im Umbruch. Krieg, Klimakrise, Fachkräftemangel und Lieferketten-Problematik zwingen dazu, neue Lösungen zu entwickeln. Danyel Pfingsten, Mitglied der IPROconsult-Geschäftsleitung, Büroleiter und Architekt, zeigt im Interview Herausforderungen und Lösungen auf; er verrät, wie er privat bauen würde und wie „gute Architektur“ aussieht. 

Herr Pfingsten, welche direkten Auswirkungen hat der Krieg in der Ukraine aktuell auf Ihren Markt und Ihr Geschäft?

Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine spüren wir eine starke Verunsicherung im Immobilienmarkt: Beim Material gibt es große Preisschwankungen, beispielsweise bei Holz und Stahl. Die Lieferketten funktionieren ja ohnehin seit der Pandemie nur eingeschränkt – und jetzt kommt auch noch eine Verschärfung des bereits bestehenden Fachkräftemangels hinzu. Die Schere auf dem Bau geht auch dadurch immer weiter auseinander, dass die technologischen Anforderungen an das Handwerk steigen; die Kompetenz der Arbeitskräfte kann hier aber nicht mithalten. Hinzu kommt die galoppierende Inflation und mit ihr einhergehend der Anstieg bei den Zinsen, was wahrscheinlich zu einer Drosselung der Bautätigkeit in Deutschland führt – sicher vor allem im Wohnungsbau. 

Bau und Betrieb von Gebäuden sind für 40 Prozent des weltweiten CO2 -Ausstoßes verantwortlich, der Bau allein für den Verbrauch von einem Drittel der Ressourcen und für mehr als die Hälfte des Müllaufkommens. Was sind die Hebel, mit denen Architektur und Hochbau beim Bau wirksam eingreifen können?

Die Baukultur insgesamt muss sich ändern. Die bisherige Herangehensweise gehört auf den Prüfstand. Es muss außerdem gelingen, den Bestand wertzuschätzen. Wenn heute noch abgerissen wird, dann müssen überzeugende Gründe vorliegen. Denn die größten Einspareffekte – nicht nur beim CO2 – generieren wir, wenn wir sanieren statt abzureißen. Remain, Re-Use, Recycle sind die Schlagworte, mit denen das Umdenken gelingen kann, also: den Bestand wertschätzen und ihn erhalten (Remain), Gebäude umnutzen und umbauen (Re-Use) sowie einen Großteil der Baustoffe wiederverwenden und aufarbeiten (Recycle). Beim Gebäudebestand sollten wir uns ein Beispiel nehmen an den Oldtimern: Liebevoll gepflegt und richtig instand gehalten, steigt ihr Wert von Jahr zu Jahr. Das muss auch unser gesellschaftliches Ziel sein im Umgang mit dem Gebäudebestand.

Interview Danyel Pfingsten
Interview Danyel Pfingsten


Früher baute man für die Ewigkeit, in den 1980ern nur noch für 30 Jahre. Was muss sich ändern, um wieder nachhaltig zu bauen?

Beim Neubau ist die Materialauswahl entscheidend: Die verwendeten Materialien sollten wertig sein und altern können, im besten Fall recycelt sein oder einen Anteil recycelter Materialien enthalten. Neubauten werden im Laufe ihrer Nutzung nachhaltig, wenn sie außerdem später neue Nutzungen ermöglichen. Diese Umnutzung von Gebäuden spielt eine große Rolle, wenn Bürogebäude zu Wohnhäusern oder Industriegebäude zu Bürogebäuden transferiert werden. Wie bei unserem Projekt Novaled geschehen, leisten wir damit einen Beitrag zur CO2 -Einsparung. Wenn neue Gebäude solche Wandlungen bei der Nutzung erlauben, dann haben wir nachhaltig gebaut. Gute Architektur zeichnet sich auch durch Wandlungsfähigkeit des Bauwerks und langfristige Sicherung des Bestands aus. 

Wir müssen aber auch die eigenen Ansprüche herunterfahren. Wir lernen jetzt gerade auf die harte Tour, dass Energie kostbar ist. Das bringt einen neuen gesellschaftlichen Entwicklungsschub, wie wir ihn bei der Kommunikation in der Pandemie schon erlebten. Wichtig ist bei alledem, dass die Politik mitspielt, die Förderungen und Abschreibungen wieder etabliert, um weiter Anreize für die Sanierung und den Klimaschutz zu geben.

Sie sprachen Re-Use an – also das Wiederverwenden von Bauteilen und Umnutzen von Gebäuden. Welche Ideen kann IPROconsult hier beisteuern?

Beispielsweise machen wir über eine DGNB-Zertifizierung nachhaltiges Bauen praktisch anwendbar, messbar und damit vergleichbar. So erhalten Bauherren von uns eine Empfehlung für ihr Projekt. Bei der Sanierung analysieren wir verantwortungsvoll den Bestand, um Wiederverwendung und Restauration anzuregen. Inzwischen gehen wir auch dazu über, den Erhalt von Gebäuden aus den 1960er bis 1980er Jahren zu ermöglichen. Nicht komplett entkernen, sondern Material sinnvoll aufarbeiten ist dabei die Maxime. So haben wir beispielsweise bei der Sanierung von Schloss Raitenhaslach (Anm.: siehe Projekte+Akteure Ausgabe 23/2016) Bestandsböden ausgebaut, aufgearbeitet, eingelagert und wieder eingebaut. In vielen Projekten, wie der Hightech-Mühle (Anm.: siehe Projekte+Akteure Ausgabe 28/2019) haben wir bewiesen, dass IPROconsult prädestiniert ist, die Wiederbelebung von Altbauten mit moderner Technologie zu begleiten.

Jetzt ist Ihre Fantasie gefragt: Wenn Sie sich ein Gebäude bauen dürften – wobei Geld und andere Rahmenbedingungen keine Rolle spielen – welche besonderen Features würden Sie einplanen?

Mein ideales Gebäude sollte in der Lage sein, den eigenen Energiebedarf zu decken. Eine Regenwasser-Speicherung und das Nutzen von Grauwasser würde ich ebenfalls einplanen. Gleichzeitig würde ich so bauen, dass das Wohngebäude ein lebenslanges Wohnen ermöglicht – viele Wohnformen über alle Lebensspannen bis hin zum barrierefreien Nutzen. Außerdem müssten die Flächen effizient nutzbar sein; Nutzungen dürfen sich überlagern, wie beispielsweise Wohnen, Kochen, Essen, Arbeiten, um die Wohnfläche gering zu halten. Denn alleine in den vergangenen 30 Jahren wuchs die durchschnittliche Wohnungsfläche pro Person von 35 auf fast 49 Quadratmeter. Da stellt sich die Frage: Brauchen wir wirklich so viel Platz, und welche Größe ist angemessen im Rahmen der zukünftigen Umweltbedingungen? Tiny Houses sind sicherlich keine energiesparende Lösung, da das Verhältnis Außenwand- zu Wohnfläche energetisch nachteilig ist. Ich präferiere daher das Mehrgenerationenwohnen, wie wir es beispielsweise in Radeberg umgesetzt haben (Anm.: siehe Projekte+Akteure Ausgabe 31/2020). Hier lebt man zusammen bei sozialem Austausch mit geringer Flächenversiegelung und niedrigem Energieverbrauch.

Für den Leuchtdioden-Hersteller Novaled plante IPROconsult Neubau und Sanierung einer Mühle
Für den Leuchtdioden-Hersteller Novaled plante IPROconsult Neubau und Sanierung einer Mühle


Was muss sich in den Gebäuden ändern – auch im Bestand – um verantwortungsbewusster mit den Ressourcen umzugehen?

Lassen Sie es mich an dem Beispiel unserer Schul-Neubauten erläutern: Wir setzen hier auf Hybrid-Lösungen bei der Klimatisierung: Kleine, dezentrale Geräte ersetzen die energetisch nicht sinnvolle Vollklimatisierung, CO2 -Wächter sorgen für Wohlbefinden und für die sommerliche Nachkühlung wählen wir mechanische Lösungen. Bei der Grundschule Wermsdorf konnten wir mit smarten Konzepten sogar ein Nullenergiehaus realisieren (Anm.: siehe Projekte+Akteure Ausgabe 33/2021). Im Moment sanieren wir in Neustadt an der Weinstraße ein Kaufhaus aus den 1970er Jahren, eine in die Jahre gekommene Betonruine. Nach der Sanierung erhoffen wir uns neue Impulse für die Stadt durch Läden, neue Treffpunkte und neue Bezüge zur Stadt, zum Beispiel auch durch eine Weinbar auf dem obersten Parkdeck. Neue Parkflächen werden geschaffen und so wertvolle historische Plätze zur Nutzung freigegeben. So werden die neuen Qualitäten in die Stadt zurückgespielt. 

Lassen Sie uns über Quartiersplanung reden: Was muss sich hier in den kommenden Jahren ändern, um eine lebenswerte Stadt zu behalten?

Regenwasserspeicherung, hoher Grünflächenanteil und die Reduktion von Pkw im Stadtbild sind drei Punkte, die mir spontan in den Sinn kommen. Auch die Stellplatzverordnungen müssen dringend reformiert werden: Wir brauchen heute mehr Platz für Lastenräder, Car-Sharing und Ladestationen; weniger für Privatwagen. Alternative Mobilitätskonzepte sind vor allem in den Ballungszentren gefragt und werden von uns bei der Quartiersplanung berücksichtigt. Es gilt, die Wohndichte mit hochwertigen Bauten zu erhöhen, Flexibilität im Grundriss zu planen und beispielsweise in Holz-Hybridtechnik zu bauen, Freiflächen anspruchsvoll zu gestalten und so die Versiegelung gering zu halten. All diese Kompetenzen sind bei IPROconsult vorhanden.

Nachhaltiges Bauen und die Baukosten lassen sich oft nicht so in Einklang bringen, wie es wünschenswert wäre. Welche Rahmenbedingungen muss die Politik schaffen, damit Sie ökologisch und ökonomisch bauen können?

Wenn die Politik als Grundlage für die Förderung die messbare Einsparung von CO2 herannehmen würde, wäre das ein Weg hin zum nachhaltigen Bauen. Hier müssten alle Komponenten einfließen: von Baumaterialien und -techniken über die Nutzung bis hin zum angedachten Rückbau. Je niedriger die hierbei generierte CO2-Belastung, desto höher die Förderung. Sachsen geht mit dem Holz-Kompetenzzentrum bereits in die richtige Richtung. Auch dabei kommt es darauf an, CO2 bei Bau und Betrieb messbar zu reduzieren. Wenn aktiver Klimaschutz schon beim Bauen zu einer besseren Förderung führt, reduziert sich automatisch der Materialaufwand, und smarte Technologien kommen zum Einsatz. Hier muss allerdings auch das jeweilige regionale Handwerk nachziehen. Zudem können kostengünstige, industrielle Produktionsformen entwickelt und die gesamte Prozesskette optimiert werden.

Interview Danyel Pfingsten
»Wenn die Politik als Grundlage für die Förderung die messbare Einsparung von CO2 herannehmen würde, wäre das ein Weg hin zum nachhaltigen Bauen.«


Als Vorstandsmitglied der Architektenkammer: Was ist für Sie persönlich „gute Architektur“?

Das ist Architektur, die sich aus dem Ort heraus entwickelt, spielerisch und leichtfüßig mit der Umgebung umgeht. Die Regionalität der Baumaterialien spielt eine Rolle – ebenso die Erlebbarkeit von Materialien, was eine Authentizität des Gebäudes schafft, die eine emotionale Bindung ermöglicht. Hinzu kommen die bereits angesprochenen Aspekte von vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten sowie Nachhaltigkeit und optimalerweise kein Energieverbrauch. 

Wie können Sie als Planer mit Ihrer Kreativität zu einer lebenswerten Zukunft beitragen?

Die Architektenkammer Bayern hat mit der „Gebäudeklasse E“ einen guten Ansatz gefunden, um experimentelles Bauen zu forcieren. Hier kommt man weg von überflüssigen Normen und Verordnungen – zurück zu den wesentlichen Funktionen des Bauens. Denn seit Jahren bewegt sich die Bauwirtschaft eigentlich in eine falsche Richtung: Die Gebäude werden immer komplexer, viele Normen schränken sich gegenseitig ein. Kreativität braucht Freiraum, um sich entfalten zu können. Eine kluge Deregulierung der Baugesetzgebung und der Normen wäre also eine Voraussetzung, mit mehr Kreativität eine lebenswerte Zukunft zu planen.

Die Digitalisierung von Prozessen ist eine der großen Herausforderungen in der Architektur- und Baubranche. Wo stehen Sie heute?

Mit unserer mehr als zehnjährigen Erfahrung beim Arbeiten nach der Methode des Building Information Modelings – BIM – sind wir hier sehr weit. Inzwischen planen wir nicht nur nach dieser Methode, wir beraten auch Kunden, wie die Öffentliche Hand, bei dem Thema. Bei allen Neubauten in der Generalplanung arbeiten wir in 3D mit BIM. Aktuell optimieren wir für die Sanierungsprojekte die Bestandsaufnahme mittels 3D-Scan, um auch hier mit den gleichen Tools planen zu können. Für die Bauherren können wir daraus zudem spannende virtuelle oder erweiterte Realitäten generieren, wir wir in diesem Heft erläutern (Anm.: siehe Projekte+Akteure Ausgabe 35/2022, Seite 52). Aktuell arbeiten wir am Nutzbarmachen von Generative Design: Erste Studien dazu haben wir bereits abgeschlossen. So konnten wir mithilfe künstlicher Intelligenz mehrere Lösungen für die ideale Raumnutzung auf einer vorgegebenen Grundfläche entwickeln. Daraus erarbeiteten wir dann Empfehlungen für die tatsächliche Raumaufteilung und setzten die Planung auf dem favorisierten Ergebnis auf. Ein sehr spannendes Thema!

Interview Danyel Pfingsten
»Wenn neue Gebäude Wandlungen bei der Nutzung erlauben, dann haben wir nachhaltig gebaut.«


Können Sie optimistisch in die Zukunft blicken?

Die aktuellen Umbrüche in Europa in Wirtschaft und Gesellschaft haben zurecht etwas Beängstigendes. Als Ingenieure können wir innerhalb unseres Wirkungsbereichs Veränderungen gestalten. Der Umweltschutz gepaart mit wirtschaftlichem Bauen ist ein zentrales Ziel. Durch grundlegende Veränderungen der Baukultur, wie zum Beispiel Modulbauten, Holzbau und nachhaltiges Bauen, werden wir den nötigen Umbruch meistern. Wir als Architekten können viel dazu beitragen, das Bauen für die Zukunft nachhaltiger und besser zu gestalten – und dabei CO2 zu sparen. Lassen Sie uns die anstehenden Herausforderungen zusammen meistern: Gehen Sie diesen Weg mit uns gemeinsam!

Vielen Dank für diese offenen Worte, Herr Pfingsten. 

// Das Interview führte Dominik Schilling.

Generative Design …

… ist ein Verfahren, bei dem zahlreiche Varianten für einen Entwurf erkundet werden. Ingenieure geben ihre Konstruktionsziele in die Software für generatives Design ein – zusammen mit Parametern wie Produkteigenschaften, verfügbarer Fläche, Geschossigkeit, Materialien, Fertigungsverfahren oder Kostenzielen. Die Software berechnet dann unter Berücksichtigung der Eingabeparameter sämtliche möglichen Lösungen und generiert in kürzester Zeit eine Vielzahl von Entwürfen. Dabei werden diese Lösungen daraufhin untersucht, was funktioniert und was nicht. Im Anschluss wählen Architekten und Ingenieure den sinnvollsten Entwurf aus und bauen ihre weiteren Planungen darauf auf.

Ihr Ansprechpartner

Danyel Pfingsten
Geschäftsbereichsleiter Architektur und Hochbau

Danyel Pfingsten

Der Architekt ist ein Gestalter: sowohl in leitender Position bei IPROconsult als auch im Vorstand der Architektenkammer Sachsen. Er trägt in seinem Geschäftsbereich Architektur und Hochbau Verantwortung für ein knappes Drittel der Beschäftigten; er liebt Tennis und Tourenski-Ausflüge.

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